Ein Spatz, ein Wunsch, ein Volksaufstand
Kabarettistin Sonja Pikart: Querdenken mit der Hausverwaltung
Sonja Pikarts Weg hin zu einer der spannendsten Kabarett-Aufsteigerinnen des Landes ist ein ungewöhnlicher. Die gebürtige Deutsche kam 2009 aus Aachen nach Wien, um am Konservatorium Schauspiel zu studieren. Das hat auch geklappt, denn schon bald stand sie nicht mehr "nur" auf den Bühnen des WUK und der Drachengasse, sondern auch auf der des Volkstheaters oder zuletzt des Hamburger Schauspielhauses.
Studiert hat sie schon bald aber auch etwas anderes: Die Marotten der Menschen um sie herum, die Eigenheiten ihrer Generation, der das Etikett Y aufgeklebt wurde, und die großen gesellschaftlichen Trends, mit denen sich diese Menschen mehr oder weniger freiwillig auseinanderzusetzen haben.
Wer all das beschreiben und sezieren will, muss früher oder später im Kabarett landen. 2015 debütierte Pikart mit ihrem Programm Gluten Abend!, in dem – nomen est omen – das Himmelfahrtskommando gesunde Ernährung abgeklopft wird. 2019 folgte das Solo Metamorphose, wo alle Fragen zur eigenen Identität, die im PR-Text als "postmodern-heterosexuell, keltisch-mitteleuropäisch, neopositivistisch-atheistisch" beschrieben wird, vertieft wurden.
Einen österreichischen Kabarettförderpreis und drei Terminverschiebungen später, ist nun das dritte Programm von Sonja Pikart auf der Bühne des trotz Corona-Schikanen äußerst gemütlichen Wiener Orpheums angelaufen. Es heißt Ein Spatz, ein Wunsch, ein Volksaufstand und klingt komplizierter, als es ist. Denn zusammenfassend könnte man sagen: Es ist vielleicht das erste wirklich gute Kabarett zur Coronapandemie. Und zwar nicht auf eine oberflächliche Art, die ins Anekdotenhafte abgleitet, sondern mit Bezug zu der einen Frage, die seit eineinhalb Jahren ganz groß im Raum steht: Wo bleibt die Freiheit?
Jetzt ist so ein Kabarettprogramm natürlich kein Philosophicum, man will ja schließlich nicht mit Gehirnschlag vom Sessel kippen, aber Sonja Pikart schafft es, die Pointenschleuderei in einen großen Bogen einzuspannen, wobei ihr als Rahmenhandlung die Metapher eines Vogels im Käfig dient – treffender lässt sich das theoretisch freie Individuum während der CoV-Lockdowns wohl nicht beschreiben.
Bis wir in diesem Programm aber bei der Pandemie angelangt sind und sie uns von schimmligem Sauerteig und Co berichten kann, hat Pikart bereits vom Paradox der Familie erzählt: Sobald man sich nämlich von der eigenen losgesagt hat, um seiner Wege zu gehen, begibt man sich schnurstracks in die Fänge einer zu begründenden noch eigeneren Familie. Verrückt oder? Noch freiheitsberaubender empfindet Pikart aber all die "guten Ratschläge", die seit der Pandemie permanent auf einen niederprasseln.
In einem wunderbar überspitzen, aber zugleich sehr wahrhaftig aus dem Leben gegriffenen e-Mail-Dialog mit der Hausverwaltung über die unmögliche Reparatur eines Dunstabzugs, erreicht Pikart Loriot‘sche Momente. Dem Querdenkertum setzt sie dann schauspielerisch virtuos auch noch ein Denkmal, indem sie in die Rollen einer linksgrünen Hippie-Quatschtante und einer rechtsrechten Germanin schlüpft, die sich auf der Wiener Esoterikmesse erstaunlich nahe kommen.
Treffende Beobachtungen aus Politik, Alltag und Gesellschaft, toll vorgetragen. Ein starkes Programm. (Stefan Weiss, 17.9.2021)
Püppchen mit frecher Schnauze
"Wenn ich ein Vöglein wär . . .", dann wäre Sonja Pikart kein Adler, sondern ein Spatz auf einem Markt in Burma, der dort gegen Geld von Touristen in die Freiheit entlassen wird. Oder so. Denn die Geschichte von dem freien Vogel, mit der die Wahlwienerin aus Aachen ihr neues Soloprogramm beginnt, ist eigentlich letztlich eine traurige. So wie die vergangenen eineinhalb Jahre für die freischaffende Künstlerin.
Aber auch abseits vom allgegenwärtigen Thema Corona und Lockdowns dreht sich bei Pikart alles um die Freiheit und das Entfliehen: zum Beispiel dem heimatlichen Dorf; den womöglich vererbten Angewohnheiten der eigenen Eltern; und natürlich den vielen ungefragten guten Ratschlägen von allen Seiten. Die Preisträgerin beim Österreichischen Kabarettpreis 2019 geht - soweit das eben in diesen Zeiten möglich ist - mit offenen Augen durch diese Welt und sammelt Abstrusitäten, die sie dann auf der Bühne erzählt. Wer dabei die gertenschlanke Blondine als zartes Püppchen einordnet, wird rasch belehrt: Dieses vorgebliche Püppchen hat es faustdick hinter den Ohren. Und eine freche Schnauze, die für einen launigen Abend sorgt. (Matthias Ziegler, 17.9.2021)
Kabarett im Kulturstadl
"(...) feinsinniger, tiefgehender Vortrag zu zahlreichen Themen junger Großstadtfrauen." (BVZ, 30/2022)
"Die Kabarettistin Sonja Pikart erreichte überraschend schnell mit ihrer politischen Botschaft, die man aufs Erste der Lebenswelt junger urbaner Frauen zuordnen würde, die Herzen der Zuschauer" (Bezirkszeitung, 26.07.22)
Metamorphose
Jurybegründung Kabarettpreis
"Die Jury zeichnet (...) eine Künstlerin aus, der mit ihrem zweiten Solo inhaltlich und darstellerisch ein beeindruckender und vielversprechender Sprung gelungen ist. In „Metamorphose“ nimmt sie sich eines drängenden, die aktuelle Politik und Kunst prägenden Themas an: der Identität. Sonja Pikart sucht nach ihrer eigenen Identität, stellt den Begriff an und für sich in Frage und verhandelt damit große gesellschaftliche Anliegen auf pointierte und kluge Weise. Die aus Aachen stammende und in Wien lebende Kabarettistin beweist zudem große schauspielerische Fähigkeiten, ein hohes Maß an Kreativität und den beachtlichen Mut, auch ernste, persönliche Themen mit Selbstironie, schwarzem Humor und viel Gefühl für tragikomische Nuancen kabarettistisch aufzubereiten. Noch niemand gelangte so poetisch und schlüssig von einem Wasserkocher mit Siedepunktverlängerung zu substantiellen Konflikten der Menschheit."
"Die Poesie der Siedepunktverlängerung - Sonja Pikarts 'Metamorphosen'
'Ich bin Sonja Pikart, sonst bin ich flexibel', sagt die aus Aachen stammende und in Wien lebende Kabarettistin und präsentiert ihr zweites Solo "Metamorphose". Es geht etwa um Kämpfe mit Identitäten ('Ich bin eine transnationale, heterosexuelle cis-Frau') oder Freundinnen, deren Lebensmittelpunkt nach der Hochzeit die Dunstabzugshaube ist. Zu Beginn wirkt das Programm wie eine freundliche Plauderei. Doch spätestens wenn Pikart vom Wasserkocher mit Siedepunktverlängerung zum Thema Depressionen gelangt, wird klar, wie großartig vielschichtig die Künstlerin agieren kann. Ihr komödiantisches Talent verbindet sie gekonnt mit tiefgehenden, schweren Konflikten und findet zu einem bemerkenswerten poetischen Ende."
Falter 48/18
Gluten Abend!
"Ganz schön glut: Sonja Pikart trifft's
Da schleicht sich doch glatt eine erfrischende Neue in die Kabarettszene. Bald hat man gecheckt, dass Sonja Pikarts verschämte "Ich hab noch was, 'tschuldigung"-Masche nur Koketterie ist. Die in Wien lebende deutsche Schauspielerin, Kabarettistin, Neurobiologin, Ex-Backpackerin und Kellnerin (sofern man den autobiografischen Zügen ihres Programms glaubt) weiß genau, was sie tut: den Lebensmittelunverträglichkeitenwahn und sonstigen Unsinn des Alltags zerlegen, nebenbei Kindheitstraumata aufarbeiten. Die Pointen in "Gluten Abend!" überfallen einen gerne aus dem Hinterhalt - und das will was heißen für ein Kabarett. Außerdem beherrscht Pikart neben den Basics des Kabaretthandwerks eine ziemlich witzige Auffassung des steirischen Dialekts und scheinbar sogar Kenntnisse des Nieder- und Thailändischen. Entdecken lohnt."
Falter 43/16
"(...) Das Programm ist gut durchdacht, läuft flüssig von einem Gaggebiet ins nächste und lässt auch immer wieder das große Potenzial von Sonja Pikart aufblitzen. Sie schmeißt sich rein, sie hat keine Angst vor dem Lächerlichen, das dem Lustigen oft anhaftet – das ist ihr hoch anzurechnen und hebt sie von vielen Geschlechtsgenossinnen ab.(...)"
OÖN, Julia Evers, 02/18
"Sie betritt die Bühne ohne Instrumente und Requisiten (...) und schon nach kurzem merkt man, dass der Abend funktionieren wird. Das Publikum geht mit und reagiert an den richtigen Stellen. Dann legt sie los und was sie in den knapp 2 Stunden bietet. kann sich wirklich sehen und hören lassen.
(...) in welcher Form sich Sonja Pikart über angebliche Glutenunverträglichkeiten lustig macht, ist wirklich hörenswert – nicht durch Zufall gab dieses Thema ihrem ersten Programm auch den Namen. Anthrax als tödliches Gift in Briefen zu verschicken sei ein Klacks gewesen, heute könnte man viel effektiver mit Mehl vorgehen.
Hinter ihren allgemeinen, meist sehr witzigen Betrachtungen verbergen sich aber immer wieder auch grundsätzliche Überlegungen, so etwa wenn sie feststellt, dass Menschen sehr häufig streitsüchtig und auch bösartig sind, was sich z. B. besonders in Internet-Foren zeigt. Dafür zieht sie aber nicht etwa politische Diskussionen heran, was naheliegend, ihr aber zu einfach wäre. (...)
Sie wird auch durchaus persönlich und schildert Job-Bewerbungen, bei denen sie auf eine Ablehnung mit einer Ablehnung der Ablehnung reagiert hat – wirklich köstlich. (...) Sie geißelt auf eine humorvolle und damit sehr verträgliche Weise jede Form von Rassismus und kommt zum Schluss, dass sich Menschen umso dümmer verhalten, je größer die Gruppe ist, in der sie sich befinden.
(...) Intelligentes, freches und vor allem unterhaltsames Kabarett einer Nachwuchskabarettistin. Also gehen Sie mit dem reizvollen Gefühl, beim Start einer sehr erfolgreichen Kabarettistin dabei zu sein, in eine der Vorstellungen von Sonja Pikart.
Gerd Kern, die kleinkunst.com
"Die junge, aus Deutschland stammende Schauspielerin Sonja Pikart überzeugte mit Ausschnitten aus ihrem ersten Programm "Gluten Abend!". Sie präsentierte eine handwerklich sehr solide gespielte Stand Up-Performance. Inhaltlich spannte sie einen weiten Bogen von den Nöten junger Schauspielerinnen über die Hysterie, die heutzutage rund um das Thema Allergien und Intoleranzen herrscht, bis hin zu einem flammend-augenzwinkernden Plädoyer für das Heiraten. Wie ein roter Faden zoog sich durch Pikarts Performance die Freude am Dekonstruieren scheinbar gut eingeführter Phrasen, wie zum Beispiel dem von ihr als Imperativ verstandenen "Grüß Gott!".
Unterstrichen wird die Qualität von Pikarts Darbietung durch den Umstand, dass sie auch die Publikumswertung im voll besetzten Theater am Alsergrund für sich entscheiden konnte (...)."
kabarett.at
"Sie hat was zu sagen und tut es auch, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen."
Gerold Rudle, Kabarettist